Der Fall Somm (CompuServe) Teil 5

Details zum Urteil

  • Amtsgericht München
  • Urteil/Artikel
  • vom 28.07.1998
  • Aktenzeichen 8340 Ds 465 Js 173158/95
  • Abgelegt unter IT-Recht, Strafrecht
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Unser fünfteiliger Artikel

  • Teil 1: Urteil des Amtsgerichts München und weitere Quellen zum Fall
  • Teil 2: Fortsetzung
  • Teil 3: Fortsetzung
  • Teil 4: Fortsetzung
  • Teil 5: Unsere Anmerkung zum Urteil

Kommentar von

(Diese Urteilsanmerkung ist seit dem 28.07.98 am Netz und wurde am 30.07.98 nochmals geringfügig überarbeitet)

Felix Somm wurde vom Amtsgericht München wegen der Zugänglichmachung von pornographischen Schriften, die Gewalttätigkeiten, den sexuellen Mißbrauch von Kindern und sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren zum Gegenstand haben (§ 184 III Nr. 2 StGB), in 13 tateinheitlichen Fällen, verurteilt. Das Gericht sah hierbei eine Begehung durch Unterlassen als gegeben an.

In Tatmehrheit hierzu nahm das Gericht einen fahrlässigen Verstoß gegen das GjS wegen der Zugänglichmachung von jugendgefährdenden Schriften, hier von in Deutschland von der Prüfstelle indizierten Computerspielen an.

1. Was die Strafbarkeit gem. § 184 StGB betrifft, stellt das Gericht zunächst zutreffend fest, daß pornographische Schriften im Sinne des § 184 III StGB auch Abbildungen sind. Dies ergibt sich bereits wörtlich aus dem Gesetz (§ 11 III StGB) und hätte deshalb keiner halbseitigen Ausführung bedurft.

Das Gericht wendet sich daraufhin dem Tatbestandsmerkmal des Zugänglichmachens zu. Das Gericht geht hierbei von einer mittäterschaftlichen Begehung von Somm als Geschäftsführer von CS Deutschland und der Geschäftsführung von CompuServe USA aus. Der Tatbeitrag des Angeklagten bestand nach Ansicht des Gerichts in der Zurverfügungstellung der Standleitung durch CompuServe Deutschland zur amerikanischen Muttergesellschaft, während es CompuServe USA unterlassen habe, die strafbaren Inhalte auf ihrem News-Server zu sperren.

Die Zurverfügungstellung der Standleitung stellt wohl eher ein aktives Tun, denn ein Unterlassen dar. Auf diesen Aspekt wird später in anderem Zusammenhang zurückzukommen sein.

Der Richter unterstellt Felix Somm damit sowohl eigene Tatherrschaft als auch einen gemeinsamen Tatentschluß im Rahmen eines gemeinsamen Tatplans von Tochter- und Muttergesellschaft.

2. Hier gilt es bereits einzuhaken und sich näher mit dem Begriff der Tatherrschaft zu befassen. Nach der Tatherrschaftslehre ist Täter derjenige, der als Zentralgestalt des Geschehens die Tatbestandsverwirklichung nach seinem Willen hemmen oder ablaufen lassen kann.

Die einzige faktische Möglichkeit des Angeklagten, den Geschehensablauf in diesem Sinne zu beeinflussen, bestand demnach in der Möglichkeit die Standleitung nach USA abzuschalten bzw. aufrechtzuerhalten. Dies kann nach der Argumentation des Gerichts der einzig relevante Anknüpfungspunkt sein, da zugleich eingeräumt wird, daß eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf den in den USA stehenden Server für Felix Somm nicht gegeben war. Diesen Ansatzpunkt verfolgt das Gericht zunächst auch - es gibt ja keinen anderen - um sich im Fortgang der Urteilsbegründung just in diesem Punkt aber in Widersprüche zu verwickeln (hierzu später).

Die Möglichkeit die Standleitung abzuschalten begründet aber m.E. gerade keine Tatherrschaft Somms. Hätte er die Standleitung abgeschalten wären die fraglichen Inhalte immer noch am Netz gewesen und mithin zugänglich gemacht worden. Jeder Internet-User weltweit, mit Ausnahme der deutschen CS-Nutzer, hätte die Möglichkeit gehabt sie weiterhin abzurufen. Man hätte nunmehr allenfalls noch eine sog. funktionelle Tatherrschaft, d.h., der fehlende Beitrag bei der eigentlichen Tatausführung wäre durch die überragende Stellung im Planungsstadium kompensiert worden, konstruieren können, wofür es aber im Urteil an jeglichen Anhaltspunkten fehlt Anhaltspunkte gibt.

3.a) Das Gericht läßt zunächst offen, worin konkret der gemeinsame Tatentschluß und Tatplan von Somm und der Geschäftsführung der amerikanischen Mutter zu sehen ist. Es kommt aber darauf letztlich einige Seiten später zurück, wenn es auf den gemeinsamen Täterwillen in eigenem Interesse zu sprechen kommt - ein Konstrukt, das die Rechtsprechung immer noch heranzieht, obwohl es in stringenter Auslegung der Tatherrschaftslehre längst obsolet ist.

Jedenfalls ist diese Urteilspassage einer von nur zwei knappen Anhaltspunkten im Hinblick auf die nicht unbedeutende Frage des gemeinsamen Tatplans. Der Richter unterstellt insofern Somm und dem Mutterunternehmen ein eigenes wirtschaftliches Interesse daran, daß die kinderpornographischen Inhalte auf dem CompuServe-Server verbleiben. Das Gericht führt wörtlich aus: " Es ging ihnen beim Zugänglichmachen der gewalt-, kinder- und tierpornographischen Bilddateien unter eindeutigen Foren um Erhöhung ihrer Einnahmen durch Gewinnung von Kunden, Ausweitung der Marktanteile und Erhöhung der Nutzungsdauer." Dieses Zitat belegt zunächst recht eindrucksvoll, daß das Gericht das Prinzip der News-Groups nicht verstanden hat. Die eindeutigen Foren, von denen das Gericht spricht, wurden nicht von CompuServe geschaffen und die besagten Dateien demzufolge auch nicht von CompuServe zugeordnet, was der Richter aber unterstellt.

Noch gewagter ist allerdings die Unterstellung, CompuServe habe Kinderpornographie geduldet um dadurch den eigenen Umsatz zu erhöhen.

Es ist doch wohl vielmehr so, daß jeder Betreiber eines Online-Dienstes, der noch halbwegs bei Trost ist, alles tun wird, um Kinderpornographie von seinen Servern fernzuhalten, da diese von der überwiegenden Mehrzahl der Online-Nutzer entschieden mißbilligt wird und deshalb derjenige Provider, der solche Erscheinungen bewußt duldet, mit erheblichen Umsatzeinbußen zu rechnen hat. Das wirtschaftliche Interesse von CompuServe bestand vielmehr darin, nicht alle ihre Kunden von der Nutzung von Newsdiensten, wofür diese schließlich teueres Geld bezahlt haben, auszuschließen. Die einzige effektive Möglichkeit der Verbannung von kinderpornographischen Inhalten wäre nämlich die Totalsperrung des Servers gewesen. Es ist zwar zutreffend, daß einzelne Beiträge problemlos entfernt werden können, es läßt sich aber nicht verhindern, daß sich diese Beiträge wenige Stunden später unter einem anderen Forum wieder auf dem Server befinden. Dies entspricht den tatsächlichen Gegebenheiten, die freilich nicht mit den Vorstellungen des erkennenden Gerichts konform gehen.

b) Dieser Aspekt führt gleich zu einem anderen Argumentationsansatz des Gerichts im Hinblick auf den gemeinsamen Tatplan. CompuServe ist, nachdem es einige Zeit lang recht rigoros Sperrungen vorgenommen hat, dazu übergegangen, dies zu unterlassen und gleichzeitig den Usern eine Filtersoftware anzubieten, die pornographische Inhalte ausfiltern kann - was aber gleichzeitig dazu führt, daß auch Beiträge ausgefiltert werden, die sich z.B. kritisch mit Kinderpornographie auseinandersetzen.

Dieser vernünftige Entschluß von CompuServe ging wohl auf die Einsicht zurück, daß die Sperrung, die ja einige Zeit praktiziert wurde eine Sisyphusarbeit darstellt, die entweder zu nichts, oder, wenn sie in großem Umfang betrieben wird zu einem annähernden Totalausschluß fast aller User führt.

Die besagte Entscheidung wurde den Nutzern sowohl von CompuServe Deutschland als auch der amerikanischen Mutter per e-mail mitgeteilt.

Gerade diesen Aspekt betrachtet das Gericht als neuen Angriffspunkt und wohl auch als Indiz für den gemeinsamen Tatplan.

Es stellt sich aber schon die Frage, ob hieraus ein gemeinsamer Tatentschluß und Tatplan überhaupt denklogisch abgeleitet werden. Das Gericht hat es nämlich diesbezüglich verabsäumt zu klären, ob hinter dieser CompuServe-Erklärung überhaupt ein eigener Entschluß von Felix Somm, auf den es hier allein ankommt, steckt. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, daß es sich hierbei um eine alleinige Entscheidung des Mutterkonzerns gehandelt hat, die lediglich an CompuServe Deutschland zur Weiterleitung an die deutschen Kunden übermittelt wurde. Angesichts des Grundsatzes in dubio pro reo hätte das Gericht dieser Frage nachgehen müssen.

4. Vielleicht die Hauptschwäche des Urteils liegt in der überrachenderweise sehr knappen Begründung des vorwerfbaren Unterlassens.

Von einem Unterlassen im strafrechtlichen Sinne spricht man dann, wenn jemand trotz physisch-realer Handlungsmöglichkeit untätig bleibt.

Die einzige Handlungsmöglichkeit im Sinne eines tatsächlichen Eingriffs in den Geschehensablauf bestand für Felix Somm in der Abschaltung der Standleitung nach USA. Damit hätte er dann allen deutschen Usern den Zugang gekappt.

Das Gericht erkennt zwar, daß Felix Somm lediglich die Kontrolle über die Standleitung inne hatte, mißt dem aber für die Frage des Unterlassens keine Bedeutung bei. Hierin besteht auch der oben bereits angedeutete Widerspruch. Das Gericht stellt lediglich auf die Möglichkeit des Mutterkonzerns zur Sperrung ab, die Somm selbst aber gerade nicht hatte. Es will vielmehr wohl diese Möglichkeit auch dem Angeklagten zurechnen, was nicht statthaft ist. Somm müßte diese Möglichkeit höchstselbst gehabt haben, da man ihm andernfalls kein Unterlassen im Sinne der Definition unterstellen kann. Gerade bei Unterlassungsdelikten bedarf es für die Begründung der Mittäterschaft durch wechselseitiges Zurechnen von Tatbeiträgen eines erhöhten Aufwands.

Selbst wenn man auf die Möglichkeit Somms zur Abschaltung der Standleitung abhebt, stellt sich dann die Frage der Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens bzw. der Zumutbarkeit i.S.v. § 5 II TDG (diese Norm wird vom Gericht erst etwas später ins Spiel gebracht). Unabhängig von der umstrittenen Frage, ob dies geeignet ist, bereits die Tatbestandsmäßigkeit oder erst die Schuld auszuschließen, wäre diese Frage eingehend zu erörtern gewesen, da die Zumutbarkeit einer Abschaltung aller deutscher CompuServe-User wohl nicht so einfach zu begründen ist.

Wäre die Argumentation des Gerichts zutreffend, so könnten sofort auch alle Telefonverbindungen abgeschalten werden, weil ja bekannt ist, daß via Telefon häufiger Straftaten verabredet und strafbare Inhalte verbreitet werden. Des weiteren gilt es zu berücksichtigen, daß, wenn bereits das Bereitstellen der Leitung den relevante Anknüpfungspunkt bildet, auch die Leitung vom Hausanschluß des Kunden zum Einwahlknoten nicht hätte außer Betracht bleiben dürfen.

5. Auch bei der Frage der Garantenstellung bleibt das Gericht sehr knapp und macht es sich vergleichsweise einfach.

Das Gericht nimmt eine Garantenpflicht aus Sachherrschaft über eine Gefahrenquelle an.

Sofern man den Server als Gefahrenquelle ansieht, was durchaus fraglich ist, da die bisher von der Rechtsprechung unter diese Pflicht subsumierten Gefahren von gänzlich anderer Qualität waren, so wurde diese Gefahr jedenfalls nicht von Somm geschaffen, da er, respektive CompuServe Deutschland, auch gerade nach den Feststellungen des Gerichts, lediglich eine Standleitung nach USA unterhält. Der maßgebliche Anknüpfungspunkt für eine derartige Garantenpflicht ist aber die Sachherrschaft über die Gefahrenquelle, die evident nicht bei Somm lag. Eine Garantenstellung traf den Angeklagten mithin nicht. In diesem Zusammenhang wäre auch bereits § 5 II TDG zu beachten gewesen, der m.E. die besagte Garantenpflicht dahingehend modifiziert, daß in Fällen wie dem vorliegenden eine Überwachungspflicht, wie sonst bei der Garantenstellung aus Sachherrschaft über eine Gefahrenquelle, gerade nicht besteht. Hieraus läßt sich auf die Intention des Gesetzes, die Anforderungen an die Garantenpflicht nicht zu überspannen, schließen. Dies ist zumindest ein Beleg dafür, daß sich die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Garantenstellung aus Sachherrschaft nicht schablonenhaft auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen lassen.

6. Auch die sich auf subjektiver Ebene stellende Frage des Vorsatzes steht und fällt mit der Prämisse des Gerichts von dem wirtschaftlichen Eigeninteresse Somms an der Beibehaltung der kinderpornographischen Inhalte. Das diese Prämisse, wie bereits dargelegt wurde, völlig haltlos ist, ist auch die Frage, ob Somm die besagten Inhalte zumindest billigend in Kauf genommen hat, in einem anderen Lichte zu betrachten.

Das Gericht geht auf den Vorsatz bezeichnenderweise erst gar nicht ausdrücklich ein.

7. Das Gericht befaßt sich dann auch noch mit den §§ 5 II, III TDG, um festzustellen, daß auch diese Vorschriften nicht geeignet sind, den Angeklagten zu exkulpieren.

Die Argumentation ist wiederum bemerkenswert.

Zunächst legt das Gericht dar, daß CompuServe Deutschland nicht Access-Provider i.S.d. § 5 III TDG ist, weil es, so das Gericht, keinen unmittelbaren Zugang zu Computernetzen vermittle, sondern mittels einer Standleitung lediglich den Zugang zur amerikanischen Mutter.

Daß bei einer Onlinezugangsvermittlung immer Standleitung benutzt werden und zwar ziemlich viele, ist eine Binsenweisheit.

Die Argumentation des Gerichts widerspricht dem Wortlaut und der ratio des § 5 TDG. Wäre der Ansatz des Amtsgerichts zutreffend, so würde ein beträchtlicher Teil der reinen Zugangsvermittler nicht dem Anwendungsbereich des TDG unterfallen. Das Gesetz differenziert im übrigen nicht zwischen mittelbarer und unmittelbarer Zugangsvermittlung, wie das Gericht zu dieser Unterscheidung gelangt, bleibt deshalb unklar.

Daran anknüpfend gesteht das Gericht dem Angeklagten aber die Privilegierung des § 5 II TDG zu, um weiter auszuführen, daß ihm dann aber auch umgekehrt die der Muttergesellschaft technisch mögliche und zumutbare Nutzungsverhinderung zugerechnet werden muß und begibt sich damit in einen klassischen Zirkelschluß.

Unabhängig davon, daß der Richter diese Zurechnung bereits vorher vorgenommen haben muß, da ohne sie die Tatbestandsmäßigkeit nicht zu begründen ist, kann dieser Denkansatz keinerlei Logik für sich beanspruchen. Es ist vielmehr so, daß Somm zwingend entweder unter die Regelung des § 5 II oder III TDG fallen muß. Dies bedeutet, daß der Richter nicht etwa die Haftungsprivilegierung des § 5 II TDG gewährt, um diese sogleich wieder zu beschneiden, sondern vielmehr die Privilegierung des § 5 III TDG versagt.

Weshalb das Gericht meint, es könne nicht isoliert auf die Tochter abstellen, sondern müsse auf die Gesamtorganisation abstellen, ist im übrigen auch angesichts von § 14 StGB unverständlich und hätte zumindest einer Erläuterung bedurft.

8. Die weitere Argumentation des Gerichts zur Strafbarkeit nach dem GjS will ich nur noch kurz ansprechen.

Auch wenn es sich in diesem Anklagepunkt um Computerspiele handelte, die im proprietären Angebot von CompuServe abgelegt waren, mithin also wohl um aus Sicht der Muttergesellschaft eigene Inhalte i.S.d. TDG, ist die gegebene Begründung äußerst fragwürdig.

Zumindest spricht das Gericht hier nun endlich aus, was schon die ganze Zeit in der Luft lag, Somm hätte die Standleitung nach USA abschalten müssen, um den Zugang der deutschen User zu diesen Computerspielen zu verhindern. Es schließt sich der lapidare und apodiktische Satz an, daß dies zur Einhaltung der deutschen Gesetze auch zumutbar gewesen wäre. Eine weitere Begründung erfolgt nicht.

Dies bedarf wie ich meine keiner weiteren Kommentierung.

9. Abschließend darf der Hinweis nicht fehlen, daß die günstige Sozialprognose, die Felix Somm das Privileg der Bewährung bescherte u.a. damit begründet wurde, daß er jetzt nicht mehr Geschäftsführer von CompuServe Deutschland sei.

Fazit: Die Qualität des Urteils läßt sich am besten daran ablesen, daß unproblematische Aspekte z.T. in epischer Breite ausgeführt werden, während die entscheidenden Punkte apodiktisch und knapp gehalten sind. Das Gericht bleibt trotz des Urteilsumfangs eine überzeugende Begründung für die Strafbarkeit Felix Somms schuldig.

Die Hoffnung der Online-Welt, daß dieses Urteil nicht von Bestand sein wird, ist deshalb mehr als berechtigt.

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