Amtspflichtverletzung eines Lehrers

Details zum Urteil

  • Oberlandesgericht Zweibrücken
  • Urteil
  • vom 06.05.1997
  • Aktenzeichen 6 U 1/97 (NJW 1998, 995)
  • Abgelegt unter Sonstiges
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Leitsatz der Kanzlei

1. Das Verlesen eines an einen Schüler gerichteten beleidigenden Briefes durch einen Lehrer stellt eine Amtspflichtverletzung dar, wenn der Lehrer den Schüler dadurch dem Hohn und Spott der Klasse aussetzt.

2. Die Amtshaftung wird durch die Kollektivhaftung der gesetzlichen Unfallversicherung insoweit verdrängt, als von der Unfallversicherung gedeckte Gesundheits- und Körperschäden geltend gemacht werden.

3. Der Schmerzensgeldanspruch aus Anlaß einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts wird von der unfallversicherungsrechtlichen Haftungspriviligierung des § 636 RVO nicht erfaßt, da die Kollektivhaftung der gesetzlichen Unfallversicherung nicht auf die individuelle Haftung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen zugeschnitten ist.

Der Tatbestand

Der klagende Schüler hat das betreffende Bundesland und den Lehrer auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch genommen. Zur Begründung wurde vorgetragen, daß ein Mitschüler des Klägers im Schuljahr 1992/1993 im Klassenzimmer ein Poster auf dem ein Affe abgebildet war aufgehängt habe. Als der Beklagte Lehrer das Bild sah, habe er dies mit der Bemerkung quittiert: "Wollen wir dem Bild nicht einen Namen geben, wollen wir es nicht ... (Name des Klägers) nennen?" Daraufhin habe die Klasse mit ja geantwortet und alle hätten gelacht.

Zu einem späteren Zeitpunkt hat der Lehrer einen erkennbar an den klagenden Schüler gerichteten Brief, der von zwei Mitschülerinnen verfaßt worden war, mit folgendem Inhalt verlesen:

"Du bist mein Liebling!
Du bist zwar saudumm, darum lieben wir Dich!
Weil Du nur 2 mm groß bist?!
Alles Gute bei Deiner weiteren Liebe!
Deine..."

Die Verlesung dieses Briefs war zwischen den Parteien unstreitig.

Die Entscheidungsgründe

Das Gericht stellt zunächst fest, daß die Voraussetzungen von Art. 34 GG i.V.m. §§ 839 I, 847 BGB erfüllt sind. Der Lehrer hat in Ausübung eines öffentlichen Amtes eine unerlaubte Handlung i.S.v. § 823 I BGB begangen und dadurch eine dem Schüler gegenüber bestehende Amtspflicht verletzt. Das verletzte Rechtsgut ist nach Ansicht des Gerichts das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Schülers.

Hinsichtlich des Verschuldens geht das OLG lediglich von einer Fahrlässigkeit des Lehrers aus. Aufgrund des festgestellten Sachverhalts könne, so das Gericht eine vorsätzliche Begehung nicht angenommen werden. Vielmehr habe es sich um eine spontane pädagogische Fehlleistung gehandelt, die der mitbeklagte Lehrer später selbst als "Eselei" bezeichnet hat.

Danach erörtert das Gericht die Frage, ob die gesetzliche Unfallversicherung gem. § 636 I RVO eintrittspflichtig ist, was dazu führen müßte, daß ein Amtshaftungsanspruch nach der Subsidiaritätsklausel des § 839 I 2 BGB wegen einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit ausgeschlossen wäre.

Hierbei differenziert das Gericht danach, ob es um einen Schmerzensgeldanspruch wegen der erlittenen körperlichen Auswirkungen geht oder ob es sich um einen solchen wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts handelt. Im ersteren Fall sei die gesetzliche Unfallversicherung gem. § 636 RVO eintrittspflichtig, da ein Unfall im Sinne der Vorschrift zu bejahen ist, im letzteren Fall dagegen nicht, da die Kollektivhaftung der gesetzlichen Unfallversicherung auf derartige Fallkonstelationen nicht zugeschnitten sei.

Kommentar von

Die Entscheidung des OLG Zweibrücken ist tendenziell zu begrüßen, wobei die gegebene Begründung z.T. nicht überzeugen kann.

Es ist bereits verwunderlich, daß das erkennende Gericht von einem lediglich fahrlässigen Verhalten des mitbeklagten Lehrers ausgeht, ohne hierzu nähere Ausführungen zu machen. Die Verlesung des beleidigenden Briefes durch den Lehrer stellt wohl eine evidente Amtspflichtverletzung dar. Es muß wohl angenommen werden, daß ein Lehrer die ihm gegenüber Schülern obliegenden Amtspflichten zumindest rudimentär kennt, weshalb zunächst festgestellt hätte werden müßen, daß eine bewußte Amtspflichtverletzung durch den mitbeklagten Lehrer gegeben ist. An diesem Punkt angekommen, ist der Weg zum bedingten Vorsatz nicht mehr weit. Die lapidare Feststellung des Gerichts, es habe sich um eine spontane Verfehlung gehandelt, ist jedenfalls nicht geeignet, den Vorsatz auszuschließen. Wenn dem so wäre, würde dies die Vorsatzlehre auf eine ganz neue Stufe heben.

Auch die Überlegungen die das OLG zur Frage der Einstandspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung und damit zum Ausschluß der Amtshaftung anstellt, vermögen nicht so recht zu überzeugen.

Wenn das Gericht auf Tatbestandsebene von einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch eine einzige Tathandlung ausgeht, erscheint es wenig stimmig, die Frage, wann ein Unfall i.S.v. § 636 RVO zu bejahen ist, davon abhängig zu machen, ob die Verletzungsfolgen körperlicher oder immaterieller Natur sind. Wäre dies zutreffend, so ließe sich vielfach erst nach geraumer Zeit feststellen, ob ein Unfall gegeben ist, da man erst die eintretenden Verletzungsfolgen abwarten müßte. Dies ist mit dem Begriff des Unfalls i.S.v. § 548 RVO, definiert als plötzlich eintretendes Ereignis, nicht vereinbar, da anhand des Ereignisses selbst festzustellen ist, ob es sich um einen Unfall handelt und nicht erst anhand der Folgen. I.ü. geht die Rechtsprechung auch sonst davon aus, daß die Haftung nach § 636 RVO sowohl körperliche als auch geistige Gesundheitsschäden umfaßt. Ist bei einer aus Art. 1 und 2 GG abgeleiteten Persönlichkeitsrechtsverletzung etwa keine Verletzung im psychischen oder seelischen Bereich gegeben? Die vom OLG Zweibrücken getroffene Differnzierung läßt sich in Wahrheit wohl gar nicht vornehmen.

RA Thomas Stadler