Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

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  • vom 14.11.2001
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Das Bundesverfassungsgericht hat 1983 mit dem aufsehenerregenden Volkszählungsurteil (Urteil vom 15.12.1983; Az.: 1 BvR 209/83; NJW 84, 419) einen neuen Aspekt des sog. Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, in den Vordergrund gerückt.

Dieses Grundrecht ist Ausfluß der Menschenwürde (Art. 1 I GG) und der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) und besagt, daß jeder grundsätzlich selbst darüber entscheiden kann, ob er personenbezogene Daten preisgibt. Als personenbezogene Daten bezeichnet man Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Legaldefinition in § 3 I Bundesdatenschutzgesetz - BDSG). Alle Informationen und Umstände, mittels derer man den Bezug zu einer konkreten Person herstellen kann, sind folglich solche personenbezogenen Daten. Hierzu gehören auch Daten die öffentlich oder einem größeren Personenkreis zugänglich sind, wie die Telefonnummer oder das Kfz-Kennzeichen. Es ist also nicht erforderlich, daß es sich um private Daten handelt.

Zum besseren Verständnis des Inhalts und Umfangs des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sind nachfolgend die Kernsätze des Volkszählungsurteils zusammengefaßt:

1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfaßt auch die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden.

Diese Befugnis bedarf unter den heutigen und künftigen Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung in besonderem Maße des Schutzes. Sie ist vor allem deshalb gefährdet, weil bei Entscheidungsprozessen nicht mehr wie früher auf manuell zusammengetragene Karteien und Akten zurückgegriffen werden muß, vielmehr heute mit Hilfe der automatischen Datenverarbeitung Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person (personenbezogene Daten) technisch gesehen unbegrenzt speicherbar und jederzeit ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abrufbar sind. Sie können darüber hinaus - vor allem beim Aufbau integrierter Informationssysteme - mit anderen Datensammlungen zu einem teilweise oder weitgehend vollständigen Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden, ohne daß der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann.

2. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen.

Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher von dem Grundrecht des Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG umfaßt. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.

Dieses Recht auf informationelle Selbstbestimmung' ist nicht schrankenlos gewährleistet.

Grundsätzlich muß daher der Einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen.

Diese Beschränkungen bedürfen nach Art. 2 I GG einer (verfassungsmäßigen) gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht Bei seinen Regelungen hat der Gesetzgeber ferner den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

3. Zu entscheiden ist nur über die Tragweite dieses Rechts für Eingriffe, durch welche der Staat die Angabe personenbezogener Daten vom Bürger verlangt. Dabei kann nicht allein auf die Art der Angaben abgestellt werden. Entscheidend sind ihre Nutzbarkeit und Verwendungsmöglichkeit. Diese hängen einerseits von dem Zweck, dem die Erhebung dient, und andererseits von den der Informationstechnologie eigenen Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten ab. Dadurch kann ein für sich gesehen belangloses Datum einen neuen Stellenwert bekommen; insoweit gibt es unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung kein belangloses Datum mehr.

Wieweit Informationen sensibel sind, kann hiernach nicht allein davon abhängen, ob sie intime Vorgänge betreffen. Vielmehr bedarf es zur Feststellung der persönlichkeitsrechtlichen Bedeutung eines Datums der Kenntnis seines Verwendungszusammenhangs: Erst wenn Klarheit darüber besteht, zu welchem Zweck Angaben verlangt werden und welche Verknüpfungs- und Verwendungsmöglichkeiten bestehen, läßt sich die Frage einer zulässigen Beschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung beantworten.

Das Bundesverfassungsgericht stellt somit klar, daß die Erhebung und Verarbeitung von personenbezogenen einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt.

Ob im Einzelfall ein rechtswidriger Eingriff vorliegt, muß anhand mehrerer Stufen überprüft werden.

Der Schutzbereich der informationellen Selbstbestimmung

Auch Daten die zunächst als nicht sonderlich bedeutsam angesehen werden, unterfallen dem Schutzbereich des Grundrechts. Belanglose Daten gibt es nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht (mehr). Somit sind alle Daten, die geeignet sind den Bezug zu einer bestimmten Person herzustellen geschützt.

Eingriff in den Schutzbereich

Der klassische Eingriffsbegriff setzt Finalität des Handelns voraus. D.h. das staatliche Handeln muß ziel- und zweckgerichtet sein. Nach der neueren Lehre (vgl. Pieroth / Schlink, Staatsrecht II, 3 6 III 2) reicht es aus, daß die beeinträchtigende Wirkung von einem ursächlichen und zurechenbaren Verhalten der öffentlichen Gewalt ausgeht. Die gezielte Beschaffung von Daten z.B. durch die Polizei zur dienstlichen Verwendung ist damit immer Grundrechtseingriff. Wenn also z.B. ein Polizist eine Autonummer auf einen Schmierzettel notiert um diese Information dienstlich zu verwenden, stellt das sowohl eine Datenerhebung als auch eine Datenspeicherung dar. Das bloße Betrachten einer Autonummer durch den Polizeibeamten ist demgegenüber kein Grundrechtseingriff.

Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Das BVerfG stellt aber ebenfalls klar, daß das Grundrecht nicht schrankenlos gewährleistet ist. Der Staat hat folglich unter bestimmten Voraussetzungen auch die Möglichkeit in zulässiger Weise in das Grundrecht einzugreifen.

Solche Beschränkungen bedürfen aber einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkung klar ergeben Außerdem muß der Gesetzgeber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten. Hierzu führt das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus: " Dieser mit Verfassungsrang ausgestattete Grundsatz folgt bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur soweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich ist. Angesichts der (...) Gefährdungen durch die Nutzung der automatischen Datenverarbeitung hat der Gesetzgeber mehr als früher auch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken.

Die Anforderungen an derartige gesetzliche Grundlagen sind eingedenk der Möglichkeiten der EDV sehr hoch.