Sperrungsanordnungen gegen Access-Provider

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  • vom 12.02.2002
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Die nachfolgenden juristischen Überlegungen knüpfen an die aktuellen Fälle von "Sperrungsverfügungen" durch die Bezirksregierung Düsseldorf an. Näheres finden Sie auf unserer Übersichtsseite zum Thema Sperrungsanordnung.

Mediendienste unterliegen der staatlichen Aufsicht (§ 18 MDStV). Die Aufsichtsbehörden haben die Befugnis, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um unzulässige Mediendienste (§ 8 MDStV) zu unterbinden. Zu den Befugnissen der Behörde gehört es insbesondere, rechtswidrige Angebote zu untersagen sowie deren Sperrung anzuordnen.

Der MDStV sieht darüber hinaus auch die Möglichkeit von Sperrungsanordnungen gegenüber Access-Providern vor (§ 18 Abs. 3 MDStV). Diese Vorschrift wird in nahezu unveränderter Form als § 22 Abs. 3 MDStV auch in der gesetzlichen Neufassung enthalten sein.

Verfassungswidrigkeit von § 18 MDStV

Die Befugnisse des § 18 MDStV ermächtigen zu Maßnahmen der Gefahrenabwehr und sind deshalb als polizeirechtliche Eingriffsnormen zu qualifizieren.

Da die Mediendienste eine inhaltliche Nähe zur Presse aufweisen, ist die Verfassungsgemäßheit der Vorschrift fraglich.

Präventiv polizeiliche Maßnahmen sind im Pressebereich nicht statthaft, weil sonst im Wege einer Vorzensur verhindert werden könnte, dass von der Pressefreiheit überhaupt Gebrauch gemacht wird. 

Da Mediendienste nach überwiegender Auffassung nur dann vorliegen, wenn bei dem jeweiligen Angebot die Meinungsbildung für die Allgemeinheit im Vordergrund steht und zugleich eine gewisse redaktionelle Aufbereitung stattfindet, stellt sich die Frage, ob Mediendienste in den Schutzbereich der Pressefreiheit fallen.

Vor dem Hintergrund dieser Problematik hat der Gesetzgeber im MDStV bestimmte Bereiche, in denen eine pressetypische Tätigkeit zum Ausdruck kommt, vom Anwendungsbereich des § 18 MDStV ausgenommen. Der Gesetzgeber ist dabei aber von einem zu engen Pressebegriff ausgegangen. Der Pressebegriff des Grundgesetzes (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) ist weit auszulegen und umfasst alle zur Verbreitung geeigneten und bestimmten Druckerzeugnisse.

Der Pressebegriff befindet sich derzeit ausserdem im Wandel und kann nicht länger auf die klassische Print-Presse beschränkt werden. Das Internet ermöglicht es jedermann zu publizieren und damit das zu tun, was bisher der klassischen Presse vorbehalten war.

Diese Tatsache macht eine Neudefinition des verfassungsrechtlichen Pressebegriffs erforderlich. 

Aus Gründen eines effektiven Grundrechtsschutzes sind damit alle Online-Inhalte, in denen die Meinungsbildung im Vordergrund steht als von der Pressefreiheit umfasst anzusehen. Mediendienste unterfallen also insgesamt der Pressefreiheit.

Indem § 18 MDStV polizeirechtliche Eingriffsmöglichkeiten enthält, wird die Möglichkeit einer Vorzensur geschaffen, was durch die Pressefreiheit gerade verhindert werden soll.

§ 18 MDStV ist deshalb verfassungswidrig. Hierauf sollte im Rahmen einer verwaltungsgerichtlichen Streitigkeit hingewiesen und eine Vorlage an das BVerfG angeregt werden.

Anwendbarkeit des MDStV

Maßnahmen gegen den Access-Provider können nur dann ergriffen werden, wenn die Inanspruchnahme des Content-Anbieters und des Host-Providers nicht durchführbar oder nicht erfolgversprechend ist.

Voraussetzung einer Sperrungsanordnung ist allerdings, dass der MDStV auf Access-Provider überhaupt anwendbar ist. In der Literatur wird mit beachtlichen Argumenten die Auffassung vertreten, dass der Access-Provider als bloßer TK-Dienstleister erst gar nicht dem Anwendungsbereich des MDStV (und des TDG) unterfällt (vgl. Koenig/Loetz). Diese Ansicht stellt bislang aber nur eine Mindermeinung dar.

Darüber hinaus stellt sich aber in jedem Fall die Frage, ob es sich im jeweiligen Einzelfall um einen Mediendienst handelt, oder nicht etwa doch um einen Teledienst. Mit der schwierigen und unklaren Abgrenzung zwischen Tele- und Mediendiensten setzt sich die Bezirksregierung Düsseldorf in ihren Bescheiden erst gar nicht auseinander. Da sich die Befugnisse der Behörde lediglich auf Mediendienste erstrecken, hätte sich die Bezirksregierung mit dieser Frage allerdings zwingend befassen müssen.

Technische Möglichkeit der Sperrung fremder Inhalte durch den Access-Provider

Die Sperrung muss technisch möglich und zumutbar sein. Ganz allgemein unterliegt die behördliche Anordnung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. 

Der Access-Provider kann die Inhalte nicht entfernen, da er keine Verfügungsgewalt über die fremden Server hat.

Bei den Maßnahmen die ein Access-Provider durchführen kann, handelt es sich eigentlich nicht um eine Sperrung von Inhalten, sondern um eine Abschottung von Nutzern. Der Access-Provider sperrt nicht, sondern verbirgt die Inhalte vor seinen Kunden. Da das Gesetz aber ausdrücklich von Sperrung spricht, darf bezweifelt werden, dass eine Abschottung der eigenen Kunden eine solche (technisch mögliche) Sperrung darstellt.

Eine vollständige und zuverlässige Abschottung der Nutzer von bestimmten Inhalten ist technisch nicht möglich. Die Zugriffsmöglichkeit der Nutzer auf inkriminierte Inhalte kann, abhängig vom technischen Aufwand, nur mehr oder minder stark erschwert werden.

Maßnahmen - wie z.B. Manipulationen am eigenen Domain-Name-Server - die die Access-Provider ohne größeren Aufwand umsetzen können, kann auch der technisch nicht bewanderte Nutzer mit geringem Aufwand aushebeln. Die Bezirksregierung meint demgegenüber, dass der durchschnittliche Nutzer hierzu nicht ohne weiteres in der Lage sei. Da es sich bei der Einstellung eines anderen DNS um eine eher triviale Änderung handelt (vgl. die Darstellung des CCC), muss davon ausgegangen werden, dass die Mehrzahl der Internet-Nutzer diese Konfiguration problemlos vornehmen kann. Diese Maßnahme läuft ausserdem dann leer, wenn der Nutzer anstelle des Domainnamens die IP-Adresse in seinen Browser eingibt. Die Entfernung von Domains aus dem eigenen DNS ist deshalb nicht geeignet, den beabsichtigten Zweck zu erreichen.

Andere Maßnahmen, wie die Blockade von IP-Adressen oder das Ausfiltern von Inhalten über einen Proxy-Server führen zu einer erheblichen Beeinträchtigung des (legalen) Datenverkehrs. Sie bewirken, dass eine Vielzahl anderer, nicht zu beanstandender Inhaltsangebote ebenfalls blockiert bzw. ausgefiltert werden. Maßnahmen dieser Art werden deshalb bislang auch vorwiegend von totalitären Staaten wie China eingesetzt. 

Mit dem Umstand, dass andere (legale) Inhaltsangebote ebenfalls mitgesperrt werden, setzt sich die Bezirksregierung in ihren Bescheiden überhaupt nicht auseinander. Ihre Verhältnismäßigkeitsprüfung ist allein aus diesem Grunde fehlerhaft. 

Eine Beeinträchtigung einer unbestimmten Vielzahl legaler Inhaltsangebote ist jedenfalls dann, wenn es darum geht einen einzelnen rechtsradikalen Inhalte zu unterbinden, nicht als verhältnismäßig anzusehen.

Bedacht werden muss zudem, dass die inkriminierten Inhalte durch solche "Sperrungsmaßnahmen" nicht aus dem Web verschwinden. Im Zeitalter des Internet By Call kann jeder Nutzer innerhalb weniger Minuten zu einem anderen Provider wechseln und die Inhalte, die man zuvor vor ihm versteckt hat, wieder aufrufen. Wenn die Bezirksregierung meint, dass es für die Geeignetheit einer Maßnahme ausreichend ist, wenn die Gefahr verringert wird, so mag dies isoliert betrachtet zutreffend sein. Wenn eine Maßnahmen allerdings nur eine eingeschränkte Wirkung entfaltet, sind die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit (im engeren Sinne) umso höher.

Man muss im Rahmen einer Gesamtwürdigung ferner auch berücksichtigen, dass die Anordnungen der Bezirksregierung Düsseldorf und das hierdurch ausgelöste öffentliche Interesse bei objektiver Betrachtung eine Förderung der beanstandeten Inhalte bewirken. Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass sich die aus Deutschland kommenden Zugriffe auf die fraglichen Inhaltsangebote in den letzten Monaten vervielfacht haben. Das Vorgehen der Behörde ist daher in höchstem Maße kontraproduktiv.

Die Sperrungsverfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf sind aus den genannten Gründen rechtswidrig.

Nachtrag vom 14.02.02: Wie nicht anders zu erwarten war, reagieren die Anbieter der gesperrten Nazi-Seiten schnell. Garry Lauck, Betreiber einer von der Sperrungsverfügung betroffenen Domain bietet seine Inhalte nunmehr u.a. auch über die Domain nordrhein-westfalen.biz an.

Entschädigungsanspruch des Access-Providers

Wenig Beachtung ist bisher der Umstand geschenkt worden, dass der Staat die von den Providern geforderten Maßnahmen letztendlich bezahlen muss.

Der MDStV betrachtet in § 18 Abs. 3 lediglich den Content- und den Host-Provider als Verantwortliche. Der Access-Provider wird vom Gesetz als Nichtverantwortlicher angesehen. 

Maßnahmen gegenüber nicht verantwortlichen Personen führen nach den Polizeiaufgabengesetzen der Länder zu Entschädigungsansprüchen des Inanspruchgenommenen (vgl. z.B. Art. 70 BayPAG). Diese Vorschriften sind Ausfluss des allgemeinen, gewohnheitsrechtlich anerkannten Entschädigungsanspruchs wegen Aufopferung für das gemeine Wohl.

Über eine analoge Anwendung der Polizeiaufgabengesetze bzw. jedenfalls über das Institut der Aufopferung für das gemeine Wohl gelangen die betroffenen Provider in den Genuss von Entschädigungsansprüchen.

Thomas Stadler

Stand: 12.02.2002

Lesen Sie auch das Update "Der Widerspruchsbescheid zur Düsseldorfer Sperrungsverfügung", das über Artikel5.de abrufbar ist.

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