Anlaßunabhängige Überwachung des Internet ("Internetstreife")

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  • vom 14.11.2001
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Die Pressemeldungen zum Thema "Internetstreife" besagen, daß beim Bundeskriminalamt (BKA) eine Zentralstelle für die anlaßunabhängige Kontrolle des Internets eingerichtet worden ist.

Eine Zentralstelle dient ganz allgemein der Koordinierung von Aktivitäten der Länder untereinander sowie mit denen des Bundes und der Bündelung von Informationen an zentraler Stelle.

Artikel 73 Nr. 10 Grundgesetz (GG) gibt dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die Regelung der Zusammenarbeit des Bundes und der Länder im Bereich der Kriminalpolizei sowie für die Einrichtung eines BKA. Hierzu korrespondierend hat der Bund gem. Artikel 87 I S. 2 GG die Verwaltungskompetenz zur Einrichtung von Zentralstellen für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen sowie für die Kriminalpolizei. Diese Kompetenz hat der Bund durch die Schaffung des BKA-Gesetzes (BKA-G) und die Einrichtung des BKA wahrgenommen.

Die Aufgaben des BKA sind allgemein in § 2 BKA-G aufgezählt. Es handelt sich hierbei vornehmlich um Aufgaben der Sammlung und Auswertung von Informationen und Unterlagen.

Eigene polizeiliche und strafverfolgende Befugnisse hat das BKA, von der Ausnahme des hier nicht einschlägigen § 4 BKA-G abgesehen, grundsätzlich nicht. Die Hauptaufgaben des BKA liegen im Bereich der Datenverarbeitung (vgl. §§ 7, 8, 10 BKA-G). Die Datenerhebung verbleibt grundsätzlich bei den Polizeidienststellen der Länder. Dies wird auch von der Vorschrift des § 1 III BKA-G klargestellt. Etwas anderes gilt gem. § 4 II BKA-G z. B. dann, wenn der Bundesinnenminister nach Unterrichtung der obersten Landesbehörden aus schwerwiegenden Gründen eine Strafverfolgung durch das BKA anordnet oder eine zuständige Landesbehörde hierum ersucht. Aber auch diese Kompetenzen sind auf den Bereich der Strafverfolgung begrenzt, was bedeutet, daß das BKA im präventiven Bereich dennoch nicht tätig werden kann.

Sofern die Polizei präventive oder repressive Maßnahmen vornimmt, die Grundrechtseingriffe darstellen, - hier kommt insbesondere ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Betracht- , benötigt sie hierfür gesetzliche Rechtsgrundlagen, die sich aus dem Polizeiaufgabengesetzen (PAG) der Länder bzw. der Strafprozeßordnung (StPO) ergeben müssen.

Da das "Streifesurfen" in erster Linie präventiven Zwecken dient, ist in den Polizeiaufgabengesetzen der Länder nach einschlägigen Befugnisnormen zu suchen.

Vorab muß aber die Frage geklärt werden, ob die beabsichtigten Maßnahmen Eingriffsqualität haben. Anderenfalls würden die Aufgabenzuweisungsnormen als Grundlage für das polizeiliche Handeln genügen.

Die Behörden wollen, soweit ersichtlich, im World-Wide-Web "Streifesurfen", Chat-Rooms belauschen, Log-Files analysieren und vermutlich auch das Usenet durchstöbern. Hierbei wird es gerade auch um die Erhebung personenbezogener Daten von einzelnen Betroffenen gehen.

Zum Teil wird die Ansicht vertreten, es handele sich bei personenbezogenen Daten, die man im WWW, im Usenet und in Chat-Rooms vorfinden kann, um allgemein zugängliche Informationen, weshalb eine entsprechende Datenerhebung keinen Eingriffscharakter haben soll.

Diese Auffassung geht nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) konform. Das BVerfG hat im Volkszählungsurteil ausgeführt, daß es seit Einführung der EDV keine belanglosen Daten mehr gibt, da die spezifische Grundrechtsgefährdung gerade auf der Möglichkeit beruht, daß einzelne zunächst belanglos erscheinende Daten problemlos zu einem Persönlichkeitsbild zusammengefaßt werden können. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist es auch irrelevant, ob es sich um intime Daten handelt oder solche, die öffentlich zugänglich sind. Diese Auffassung wird z. B. auch von Berner/Köhler, Handkommentar zum Bay. Polizeiaufgabengesetz, Vorbemerkung zu Art. 30 Rdnr. 2 vertreten. Dort heißt es: "Bezüglich der Rechtsnatur der Datenerhebung läßt das Volkszählungsurteil des BVerfG entgegen der in Satz 2 Nr. 31.1 Vollzugsbekanntmachung anklingenden Ansicht keinen Raum für die Annahme, eine Erhebung personenbezogener Daten durch die Polizei (...) könne u. U. keine Eingriffsqualität haben. Eine Offenbarung persönlicher Lebenssachverhalte mittels aktiven und finalen Handelns wird auch dann erzielt, wenn derartige Daten aus allgemein zugänglichen Quellen wie Telefon- oder Adreßbüchern erhoben werden."

Das Sammeln personenbezogener Daten durch die Polizei im Web, Usenet und in Chat-Rooms stellt deshalb einen Grundrechtseingriff dar.

Anhand des BayPAG soll exemplarisch untersucht werden, ob die PAGe einschlägige Rechtsgrundlagen für derartige Eingriffe bereithalten.

Die Befugnisnormen des PAG, also jene Vorschriften, die zu einem polizeilichen Eingriff legitimieren, sind unterteilt in eine sog. Generalklausel (Art. 11 BayPAG) und sog. spezielle Befugnisnormen (Art. 12 ff. BayPAG).

Die Generalklausel kann als Eingriffsgrundlage nur dann herangezogen werden, wenn der betreffende Bereich, in dem sich der Eingriff abspielt, nicht einer speziellen Befugnisnorm zuordnenbar ist. Da die Datenerhebung und -verarbeitung in den Artikeln 30 - 49 BayPAG speziell geregelt sind, scheidet ein Rückgriff auf die Generalklausel aus.

Der bayerische Gesetzgeber hat nun innerhalb dieser Vorschriften wiederum in Art. 31 I BayPAG eine Art Generalklausel für die Datenerhebung geschaffen. Die Eigentümlichkeit dieser Befugnisnorm besteht darin, daß unter bestimmten Voraussetzungen eine Datenerhebung ohne Vorliegen einer konkreten Gefahr statthaft sein soll. Eine derartige Vorschrift entspricht an sich nicht dem Wesen des Polizeirechts, da alle polizeilichen Eingriffsbefugnisse eine konkrete Gefahr immanent voraussetzen. Die Verfassungsgemäßheit dieser Vorschrift ist deshalb vielfach bezweifelt worden (vgl. z. B. Albert in ZRP 90, 147; Kniesel/Vahle in DÖV 90, 646). Unabhängig von der Frage, ob diese Vorschrift, auf die die bayerische Polizei die Internetstreife wohl z. T. stützen will, verfassungsgemäß ist oder nicht, kann diese Vorschrift als Rechtsgrundlage für die geschilderten Eingriffe nicht herangezogen werden. Dies ergibt sich zum einen daraus, daß für eine verdeckte Datenerhebung mit technischen Mitteln nach Art. 33 BayPAG generell das Vorliegen einer konkreten Gefahr erforderlich ist, weshalb Art. 31 I BayPAG die Datenerhebung mit technischen Mitteln ohnehin nicht erfaßen kann.

Darüber hinaus bewirkt die spezielle Regelung der Datenerhebung durch Einsatz technischer Mittel (Art. 33 ff. BayPAG), ohnehin eine Sperre der Generalklausel des Art. 31 I BayPAG.

Außerdem gilt es zu bedenken, daß das BVerfG im Hinblick auf die Bestimmtheit/Normklarheit bei Datenerhebungsvorgängen hohe Anforderungen stellt. Auch dies zwingt zu der Annahme, daß eine naturgemäß allgemein gehaltene Generalklausel, die Art und Umfang der hier interessierenden Eingriffe nicht konkret umschreibt, nicht geeignet ist, als Rechtsgrundlage für derartige Maßnahmen herzuhalten.

Im Hinblick auf eine Datenerhebung in Chat-Rooms läßt sich außerdem die Frage aufwerfen, ob es sich hierbei um eine Datenerhebung bei öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen (Art. 32 BayPAG) handelt, die in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) eingreift. Dies würde voraussetzen, daß man ein virtuelles Treffen mehrerer Personen in einem Chat-Room als Versammlung klassifizieren kann. Dieser Frage, die einer eingehenden wissenschaftlichen Betrachtung bedürfte, soll hier nicht weiter nachgegangen werden.

Es bleibt somit festzuhalten, daß das BayPAG und - soweit ersichtlich - auch die Polizeiaufgabengesetze der übrigen Bundesländer keine geeigneten Rechtsgrundlagen für die anlaßunabhängige Kontrolle des Internets bieten. Die beschriebenen Maßnahmen, die derzeit wohl bereits praktiziert werden, müssen deshalb als rechtswidrig eingestuft werden.