Widerrechtliche Drohung durch Programmsperre

Details zum Urteil

  • Landgericht Frankfurt/Main
  • Urteil
  • vom 17.12.1998
  • Aktenzeichen 2/3 O 266/97
  • Abgelegt unter IT-Recht

Leitsatz der Kanzlei

1. Aktiviert der Lizenzgeber eine Programmsperre, die die Nutzung der Software auf anderer Hardware verhindert, und erklärt er, die Sperre nur aufzuheben, wenn der Lizenznehmer einer neuen Lizenzgebühr zustimmt, so liegt hierin eine widerrechtliche Drohung.

2. Eine Klausel, die die Nutzung der Software auf eine bestimmte Hardware beschränkt, stellt einen Verstoß gegen § 9 AGBG dar.

Der Tatbestand

Die Beklagte stellt die Software "AD/Advantage" her

Sie schloß am 21./31. März 1994 mit der Klägerin einen Lizenzvertrag. Dadurch räumte die Beklagte der Klägerin eine nichtausschließliche und nichtübertragbare Lizenz an der Software ein. Als Lizenzgebühr wurden ein einmaliger Betrag von DM 210.000,- zuzüglich Mehrwertsteuer sowie eine jährliche Erneuerungsgebühr in Höhe von DM 31.500,- zuzüglich Mehrwertsteuer vereinbart. Dieser Vertrag enthält u.a. folgende Bestimmung:

1.2 Umfang der Lizenz

Der Kunde ist ausschließlich berechtigt, die Systeme am Installationsort auf der vereinbarten Hardware gemäß Systemverzeichnis zu benutzen. Die zusätzliche Nutzung auf weiteren Rechnern erfordert jeweils den Abschluß eines separaten Systemverzeichnisses. Dasselbe gilt bei Verwendung anderer Rechner mit größerer Kapazität (sog. Upgrades). In beiden Fällen finden sodann die jeweils aktuellen Listenpreise von C. Anwendung. Bereits gezahlte anfängliche Lizenzgebühren werden in voller Höhe zugunsten des Kunden angerechnet.

In der als Systemverzeichnis bezeichneten Anlage I dieses Vertrages wurden die beiden Computersysteme, auf die sich die Lizenz beziehen sollte, mit Typenbezeichnung und Seriennummer des Prozessors (CPU) konkretisiert. Außerdem wurde dort festgelegt, daß die Nutzung auf maximal 4 Entwickler und 128 Endanwender beschränkt sein sollte.

Ebenfalls im März 1994 schlossen die Parteien zwei Zusatzvereinbarungen zu dem Lizenzvertrag ab. In der ersten wurde die Beschränkung auf 4 Entwickler und 128 Endanwender wiederholt und weiterhin festgelegt, daß eine künftige Erhöhung auf maximal 10 Entwickler und 256 Endanwender durch eine anteilmäßige Anpassung der jährlichen Erneuerungsgebühr abgegolten werden sollte. In der zweiten Zusatzvereinbarung wurde der Klägerin -entgegen dem ursprünglichen Vertrag - das Recht eingeräumt, die bisherige Version der Software bis zu 3 Jahre parallel zu der neuen Version zu benutzen. In diesem Zusammenhang lautet die Klausel wie folgt: "Der Kunde ist sich jedoch bewußt, daß die Installation des neuen Systems auf einem anderen Rechner als vereinbart (§ 1.2) ggfs. eine weitere Lizenz erfordert."

Die Software AD/Advantage wurde auf den im Systemverzeichnis bezeichneten Computern installiert. Dabei wurde ein in der Software enthaltener Schutzmechanismus, durch den eine Nutzung des Programms ab einem bestimmten Datum verhindert werden kann (sog. Programmsperre) nicht aktiviert.

Im Frühjahr 1996 ersetzte die Klägerin die beiden im Systemverzeichnis bezeichneten Computersysteme durch eine neue leistungsfähigere Hardware. Diese wurde so konfiguriert, daß der Software AD/Advantage nur der Teil der Rechenleistung zur Verfügung gestellt wurde, welcher der Rechenleistung des alten Systems entsprach.

Damit die Software auf den neuen Computern lauffähig wurde, benötigte die Klägerin einen Code. Denn die Software enthielt eine Art Kopierschutz. Dieser sorgte durch Überprüfung der Seriennummer des Hauptprozessors dafür, daß die Software nur auf einem bestimmten Computersystem lauffähig war. Auf Anfrage bei der Beklagten teilte diese der Klägerin den Code mit, welcher den Kopierschutz aufhob und dadurch die Nutzung auf dem neuen System ermöglichte. Eine Änderung der Software war zum Betrieb auf dem neuen Computersystem nicht nötig. Die Klägerin löschte daraufhin die Software auf dem alten Computersystem.

Der von der Beklagten mitgeteilte Code aktivierte jedoch nunmehr eine Programmsperre; diese machte eine Nutzung nach dem Datum des 30.4.1996 unmöglich. Die Beklagte forderte die Klägerin mit Schreiben vom 12.3.1996 auf, eine Änderung des Systemverzeichnisses zu unterzeichnen. Diese Änderung sah eine neue anfängliche Lizenzgebühr von DM 278.000,-zuzüglich Mehrwertsteuer sowie eine jährliche Erneuerungsgebühr von DM 41.700,- nebst Mehrwertsteuer vor. Gleichzeitig erklärte die Beklagte, sie werde die Paßwörter zur Überwindung der Programmsperre nur zur Verfügung stellen, wenn die Klägerin diese Änderungsvereinbarung unterzeichne und die geforderten Lizenzgebühren zahle.

Da die Klägerin auf die Nutzung der Software angewiesen war und kurzfristig keine Alternativlösungen zur Verfügung standen, unterzeichnete die Klägerin die Änderungsvereinbarung. In einem Begleitschreiben vom 26.4.1996 wies sie darauf hin, daß die Programmsperre vertragswidrig sei und sie sich deshalb alle Rechte vorbehalte. Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin ein neues Paßwort mit, welches die Nutzung der Software bis zum 30.9.1996 ermöglichte. Die Klägerin verlangte Aufhebung auch dieser Programmsperre, was die Beklagte unter Hinweis auf die noch nicht entrichtete Lizenzgebühr verweigerte. Am 10.9.1996 bezahlte die Klägerin insgesamt DM 319.700,-, und zwar unter Vorbehalt. Die Klägerin erklärte mit Schreiben vom 18.2.1998, sie fechte die Änderungsvereinbarung vom 26.4.1996 wegen widerrechtlicher Drohung an. (...)

Die Entscheidungsgründe

Die Klage hat in vollem Umfang Erfolg.

1. Die Klägerin besitzt gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten DM 319.700,- aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff. BGB). Die Beklagte hat diesen Betrag von der Klägerin ohne rechtlichen Grund erlangt.

Zwar haben die Parteien am 26./30.4.1996 ein neues Systemverzeichnis vereinbart, in dem eine neue anfängliche Lizenzgebühr in dieser Höhe enthalten war. Diese Vereinbarung ist jedoch wegen widerrechtlicher Drohung nichtig (§§ 123, 142 BGB). Die Klägerin hat innerhalb der Frist des § 124 BGB zu Recht die Anfechtung wegen Drohung erklärt.

Durch die von der Beklagten aktivierte Programmsperre und die Erklärung, diese nur dann wieder aufzuheben, wenn die Klägerin die Systemvereinbarung unterzeichne, stellte die Beklagte bewußt ein künftiges Übel in Aussicht, das von ihr herbeigeführt werden konnte und sollte. Diese Drohung war widerrechtlich. Denn die Klägerin war schon aufgrund der bestehenden Lizenzvereinbarung berechtigt, die Software AD/Advantage auf dem neuen Computersystem an Stelle des alten zu nutzen. Aus dem Software-Lizenzvertrag ergibt sich keine Pflicht zur Unterzeichnung eines neuen Systemverzeichnisses mit einer erneuten anfänglichen Lizenzgebühr.

Die Klausel in § 1.2 Satz 1 des Lizenzvertrages, soweit sie sich auf eine Verwendung anderer Rechner bezieht, ist wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG nichtig. Bei der Regelung in § 1.2 des Lizenzvertrages handelt es sich um eine vorformulierte Vertragsbedingung im Sinne von § 1 AGBG. Die Anwendung des AGBG wird auch nicht durch das Vorliegen einer Individualvereinbarung im Sinne von § 4 AGBG ausgeschlossen. Denn bei dem in der zweiten Zusatzvereinbarung vom 30./31. März 1994 enthaltenen Satz "Der Kunde ist sich jedoch bewußt, daß die Installation des neuen Systems auf einem anderen Rechner als vereinbart (§ 1.2) ggfs. eine weitere Lizenz erfordert" handelt es sich um einen bloßen Hinweis, der die genannten Klausel nicht zu einer Individualabrede werden läßt (vgl. BGH BB 1978, 636, 637). Dieser Satz stellt keine Konkretisierung der genannten Regelung dar, sondern verweist lediglich auf deren - vermeintliche - Geltung.

Eine Inhaltskontrolle dieser Klausel scheitert auch nicht an § 8 AGBG. Denn § 1.2 des Lizenzvertrages beschreibt nicht unmittelbar die Hauptleistung. Diese Beschreibung befindet sich bereits in § 1.1 des Lizenzvertrages mit dem dort enthaltenen Verweis auf das Systemverzeichnis. Denn durch die Bezeichnung von Software und Betriebssystem sowie die zahlenmäßige Begrenzung der Entwickler und Endanwender ergeben sich schon die wesentlichen Vertragsbestandteile. Die in § 1.2 des Lizenzvertrages enthaltenen Regelungen legen demgegenüber den Gegenstand der Hauptleistung nicht unmittelbar fest, sondern schränken diesen zu Lasten der Klägerin ein. Bestimmungen über Einschränkungen der Hauptleistung sind aber einer Kontrolle durch das AGBG zugänglich (Wolf/Horn/Lindacher; AGBG-Kommentar; 13. Auflage, § 8, RN 12 mit Nachweisen).

§ 1.2 des Lizenzvertrages ist wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG unwirksam. § 9 AGBG gilt auch für den kaufmännischen Verkehr (§ 24 AGBG). Soweit sich § 1.2 des Lizenzvertrages auf die Verwendung anderer Rechner mit größerer Kapazität bezieht (Satz 3), soll die Bestimmung bezwecken, daß ein Systemwechsel durch die Klägerin ohne den Abschluß eines neuen Vertrages, der eine erneute anfängliche einmalige Lizenzgebühr vorsieht, nicht möglich ist. Für eine so weitgehende Regelung ist kein berechtigtes Interesse der Beklagten zu erkennen. Dem Interesse der Beklagten, den Umfang der Nutzung klar zu definieren, wird bereits durch die Angabe des Betriebssytems in Verbindung mit der Beschränkung der Zahl der maximal zulässigen Entwickler und Endanwender Rechnung getragen. Diese Festlegung des Umfangs der zulässigen Nutzung ist darüber hinaus auch ein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der Lizenzhöhe. Die Festlegung des Betriebssystems wiederum führt dazu, daß im Rahmen der Festlegung der Lizenzhöhe auch die jeweiligen Entwicklungskosten berücksichtigt werden können.

Für eine über diese Punkte hinausgehende pauschale Einschränkung der Nutzung auf eine bestimmte Hardware ist ein berechtigtes Interesse der Beklagten nicht ersichtlich. Die Software der Beklagten ist auf dem neuen Computersystem ohne jede Veränderung oder Beeinträchtigung lauffähig, so daß der Wechsel für die Beklagte keinerlei zusätzlichen Aufwand oder Schaden bedeutet. Die Klägerin besitzt ein berechtigtes Interesse daran, die Software der Beklagten auch nach einem Wechsel der Hardware weiterhin benutzen zu dürfen, und zwar unabhängig davon, ob der Wechsel wegen eines Defektes der Geräte oder aus anderen Gründen erfolgt.

Gerade angesichts des rapiden technischen Fortschritts im Bereich der Hardware ist eine Modernisierung der Hardware in relativ kurzen zeitlichen Abständen üblich und im Hinblick auf eine möglichst effiziente Nutzung der Software auch sinnvoll. Im Rahmen der Abwägung der konkreten beiderseitigen Interessen ist weiterhin zu berücksichtigen, daß § 1.2 des Lizenzvertrages in einem logischen Widerspruch zu der in der ersten Zusatzvereinbarung vorgesehenen Erweiterungsmöglichkeit steht. Denn wenn die dort vorgesehene Erhöhung der Entwickler- und/oder Endanwenderzahl nur zu einer anteiligen Anpassung der jährlichen Erneuerungsgebühr führen soll, so ist nicht nachvollziehbar; warum für einen Wechsel auf einen anderen Rechner ohne Erhöhung der Entwickler- und/oder Endanwenderzahl eine erneute anfängliche einmalige Lizenzgebühr erforderlich sein soll, die der Höhe nach deutlich über der ursprünglichen liegt, sowie eine ebenfalls erhöhte jährliche Erneuerungsgebühr.

Schon unter diesen Gesichtspunkten stellt sich daher die in § 1.2 des Lizenzvertrages enthaltene Upgrade-Klausel als mißbräuchlicher Versuch der Beklagten dar, ihre eigenen Interessen auf Kosten der Klägerin durchzusetzen, ohne von vornherein deren Interessen hinreichend zu berücksichtigen oder dieser einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen. Es liegt deshalb eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 9 AGBG vor.

Dies gilt erst recht, wenn man den Umstand einbezieht, daß die Klägerin das gegenüber dem ursprünglichen System leistungsfähigere neue System so konfiguriert hat, daß die tatsächlich für das Programm zur Verfügung stehende Rechenleistung sich nicht erhöht hat. Nach dem Gutachten des Sachverständigen W. kann als technisch sichergestellt angesehen werden, daß - bezogen auf die Nutzung der Software AD/Advantage - das neue Computersystem IBM 9672 in seiner Leistungsfähigkeit mit dem alten Computersystem IBM 3090 übereinstimmt. Die klaren und eindeutigen Feststellungen des Sachverständigen sind auch von der Beklagten letztlich nicht mehr in Zweifel gezogen worden.

§ 1.2 des Lizenzvertrages verstößt daher gegen § 9 AGBG, soweit er die Verwendung eines anderen Rechners mit größerer Kapazität regelt, was dazu führt, daß die Klausel wegen des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion insgesamt unwirksam ist (BGHZ 106, 267; NJW 1993, 1787>. Eine Zerlegung mit der Folge der Wirksamkeit des übrigen Teils kommt nicht in Betracht, da die Regelungen in § 1.2 des Vertrages inhaltlich miteinander verknüpft sind und die unwirksame Bestimmung nicht einfach weggestrichen werden kann (sog. »blue pencil test«; vgl. Palandt/Heinrichs, BGB-Kommentar; 57. Auflage, vor § 8 AGBG, RN 11). Darüber hinaus scheitert eine Zerlegung daran, daß die Bestimmung auch im übrigen inhaltlich keineswegs unbedenklich ist. Da jedoch schon die in § 1.2 des Lizenzvertrages enthaltene Upgrade-Klausel zur Unwirksamkeit der gesamten Bestimmung führt, kann die Frage dahingestellt bleiben, ob nicht auch die Beschränkung auf bestimmte, durch die Seriennummer der CPU festgelegte Rechner für sich allein genommen gegen § 9 AGBG verstößt.

Bei Auslegung des ursprünglichen Lizenzvertrages unter Berücksichtigung des Vertragszwecks und der Unwirksamkeit von § 1.2 ergibt sich, daß sich die Lizenz nunmehr auch auf die neue Hardware erstreckt. Denn durch den Lizenzvertrag sollte der Klägerin die dauerhafte Möglichkeit eingeräumt werden, die Software unter dem angegebenen Betriebssystem mit einer bestimmten Anzahl von Entwicklern und Endanwendern zu nutzen. Dieser Vertragszweck wäre aber angesichts der unbefristeten Laufzeit gefährdet, wenn die Klägerin nicht die Möglichkeit hätte, die Hardware zu modernisieren oder nach einem Ausfall zu ersetzen. Der Vertrag ist daher so zu verstehen, daß sich die Lizenz bei einem Austausch der Hardware - ohne Änderung des Betriebssystems und ohne Erhöhung der Zahl der Entwickler und/oder Endanwender - auch auf die neue Hardware beziehen soll. Eine solche Auslegung widerspricht nicht der im Urheberrecht geltenden sogen. Zweckübertragungstheorie. Denn hier ist lediglich der Bereich der Rechte betroffen, der zur Erreichung des Vertragszwecks erforderlich ist.

Die Klägerin war somit nach dem Wechsel auf das neue Computersystem weiterhin berechtigt, die Software im Rahmen des bisherigen Lizenzvertrages zu nutzen. Die Aktivierung der Programmsperre durch die Beklagte zur Durchsetzung des vermeintlichen Anspruchs auf Änderung des Systemverzeichnisses zu neuen Konditionen war daher vertragswidrig. Daraus folgt, daß die Drohung der Beklagten, die Programmsperre nur nach Abschluß der geforderten Vertragsänderung und Zahlung aufzuheben, im Hinblick auf Mittel und Zweck rechtswidrig war. Aus diesem Grunde kann die Klägerin die unter unzulässigem Druck gezahlten DM 319.700,- zurückfordern. (...)

3. Auch soweit die Klägerin Aufhebung der Programmsperre begehrt, ist die Klage nach den zuvor gemachten Ausführungen begründet. Die Beklagte hatte die Programmsperre ohne rechtlichen Grund aktiviert.