Wettbewerbswidriger Vertrieb von Shareware

Details zum Urteil

  • Landgericht München I
  • Urteil
  • vom 03.06.1992
  • Aktenzeichen 21 O 8607/92
  • Abgelegt unter Gewerblicher Rechtsschutz, IT-Recht

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  1. Der Tatbestand
  2. Die Entscheidungsgründe

Der Tatbestand

Die Parteien streiten um die Berechtigung des Beklagten, das Shareware–Programm Paint–Shop zu vertreiben. Beide Parteien vertreiben Software–Programme. Die Beklagte vertreibt u. a. das Software–Produkt Paint–Shop eines amerikanischen Programmautors. Bei diesem Programm handelt es sich unstreitig um ein sog. Shareware–Programm.

Der Kläger vertreibt die neueste Version dieses Programms, genannt Paint Shop Professional, aufgrund einer ausschließlichen Vertriebslizenz des Programmautors. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung des Vertriebs von Paint-Shop in Anspruch.

Die Entscheidungsgründe

Für die begehrte einstweilige Verfügung fehlt es an einem Verfügungsanspruch. Der Kläger hat nicht, wie nach der Rechtsprechung des BGH erforderlich, im einzelnen dargelegt, worin die das Programm PaintShop von durchschnittlicher Software abhebenden eigenschöpferischen Merkmale bestehen. Ansprüche aus urheberrechtlichen Bestimmungen scheiden daher schon deswegen aus, weil es an einer substantiierten Darlegung der Schutzfähigkeit des Programms fehlt. Da aber der Verkehr, ungeachtet der Rechtsprechung des BGH, den Vertrieb von Software–Programmen grundsätzlich in urheberrechtlichen Kategorien beurteilt und diese Beurteilung auch für die Bejahung oder Verneinung der Sittenwidrigkeit im Rahmen des § 1 UWG maßgebend ist, wird die Frage der Rechtmäßigkeit des Vertriebs der Beklagten zunächst unter urheberrechtlichen Gesichtspunkten geprüft – wobei die nicht dargelegte Urheberrechtsschutzfähigkeit unterstellt wird. Für die Bewertung des Vertriebs von PaintShop unter urheberrechtlichen Gesichtspunkten kommt es zunächst darauf an, was unter Shareware–Vertrieb zu verstehen ist. Aus den von den Parteien vorgelegten Stellungnahmen hierzu (Heymann, CR 1991, 6 ff.; Marly, Softwarenüberlassungsverträge, 1991, S. 116–126; Schulz ( = Kl.) CR 1990, 296 ff.; Heft 6/92 der Zeitschrift DOS shareware) ergibt sich folgendes Bild: Der Shareware–Vertrieb bietet Programmautoren eine Möglichkeit, ein Programm auf den Markt zu bringen, ohne sich um einen Vertriebsapparat kümmern zu müssen; es soll sich gewissermaßen von selbst verbreiten (insb. Marly, Rdnr. 280; Schulz, CR 1990, 296 (297)). Andererseits bietet es dem Anwender die Möglichkeit, das Programm, bevor er den eigentlichen Kaufpreis entrichtet, zu prüfen; erst, wenn er es regelmäßig (weiter–) benutzten will, soll er sich beim Autor registrieren lassen und an ihn die Registrierungsgebühr – die eigentliche Lizenzgebühr – entrichten. Marly zitiert aus der Beschreibung eines Shareware–Herstellers (Rdnr. 281); folgende Sätze hieraus mögen zur Illustration der gegebenen Kennzeichnung des Wesens der Shareware dienen: Zum Kopieren der Programm sollte ermutigt werden, anstatt es zu verbieten...Unabhängig von der Registrierung und Benutzung des Programms werden Sie dazu angehalten, das Programm zu kopieren und zum Zwecke der privaten, nicht kommerziellen Testbenutzung an andere Personen weiterzugeben...Wenngleich der Programmautor Ihnen erlaubt, das Programm zu kopieren und unter bestimmten Bedingungen zu benutzten, ist (es) keine freie Software...Es wird angestrebt, Qualitätssoftware zu niedrigen Preisen anzubieten und den Urheber unmittelbar zu unterstützen, ohne den Überbau von Verteilern, Händlern und der Werbung zu unterstützen, der die Preise eines Softwarepakets auf 500 Dollar treiben kann...'Zum Wesen des Shareware–Vertriebs gehört es demnach, daß der Autor den Vertrieb des Programms nicht selbst steuert, sondern beliebigen Dritten überläßt; er gibt insoweit, also zur Herstellung und zum Vertrieb von Kopien, das Programm allgemein frei. Es gibt hierbei keine Einschränkung auf den nichtkommerziellen Bereich', wie der Kl. geltend macht. Der Shareware–Vertrieb eines Programms ist effizient vor allem dadurch, daß Shareware–Händler an der Vervielfältigung und Vertreibung von Kopien ausgesuchter Shareware–Programme profitieren – allerdings in wesentlich bescheidenerem Umfang, als der konventionelle Softwarenhandel; sie verlangen üblicherweise – nicht für die Lizenz am Programm, sondern – für Material und Arbeitsaufwand (im vorliegenden Fall zusätzlich für die Herstellung eines deutschsprachigen Handbuches) eine Vermittlungsgebühr von 5 DM bis 15 DM (Marly, Rdnr. 279). Daß der Vertrieb von Shareware üblicherweise nicht nur über private Benutzer erfolgt, sondern auch (und wohl sogar vor allem) über Händler, ergibt sich aus Marly und aus Schulz (CR 1990, 296 (1. Sp.): ... während große Distributoren Millionenumsätze mit dem Versand von Shareware machen' ). Bei Gewährung eines Alleinvertriebsrechts an einen einzigen Händler spricht Schulz (also der Kl. selbst) in seinem Aufsatz CR 1990, 296 (298) nicht mehr von typischer Shareware ..., sondern nur noch von einer Anwendung des Sharewareprinzips. Derartige Software darf nicht mehr beliebig kopiert und weitergereicht werden' – andere, die typische Shareware, aber schon! Heymann nimmt mit seiner Meinung, wonach sich der Autor beim Shareware–Vertrieb vertragstypisch das Kopierrecht vorbehält, so daß die Vergabe eines exklusiven Alleinvertriebsrechts an einen Sharewarehändler kein Problem darstelle (CR 1991, 6 (10, 1. Sp.)), eine ausgesprochene Außenseiterstellung ein; er ist sich dessen insofern bewußt, als er seine Meinung von der hier wiedergegebenen, für das Verkehrsverständnis für maßgeblich gehaltenen Meinung als einer immerhin zuweilen vertretenen' abhebt. Gegen ihn sprechen Marly, Schulz (also der Kläger in seinem Aufsatz, im Gegensatz zu seinem Vortrag in diesem Verfahren) und Gäbler; ferner die Logik der Sache: Wenn es zum Wesen des Shareware–Vertriebs gehört, daß der Programmautor sich um den Vertriebsapparat nicht kümmern muß, sondern das Programm sich von selbst verbreiten soll, kann dies nur auf diese Weise geschehen, daß jeder beliebige Dritte ermächtigt wird, Vervielfältigungsstücke des Programms herzustellen und zu verbreiten – wenn er dabei gewisse Bedingungen einhält, nämlich sich nicht das Programm, sondern nur seine Kopier– und Vertriebsleistung bezahlen läßt, und den Benutzer auffordert, bei regelmäßiger Verwendung des Programms an den Autor die Registrierungsgebühr (das Entgelt für das Programm selbst, die Lizenzgebühr) abzuführen. Es liegt auf der Hand, daß ein derart vom Autor genehmigtes Vervielfältigen und Verbreiten von Softwarenprogrammen weder Urheberrechte verletzen kann (wenn solche gegeben sind), noch unter § 1 UWG fällt. Soweit sich der Kl. für seinen Standpunkt, das Kopieren und Verbreiten der Programme durch die Bekl. verstoße jedenfalls gegen § 1 UWG, auf Lehmann (in: Lehmann (Hrsg.), Rechtsschutz und Verwertung von Computerprogrammen, 1988, Kap. IX – Der wettbewerbsrechtliche Schutz von Computerprogrammen gem. § 1 UWG – sklavische Nachahmung und unmittelbare Leistungsübernahme) beruft, läßt er außer Acht, daß Lehmann nur den Fall der nicht genehmigten unmittelbaren Leistungsübernahme in Form von Raubkopien meint, nicht dagegen den vom Autor gewollten und genehmigten Shareware–Vertrieb in der dargestellten Form. Es kann insbesondere keine Rede davon sein, daß der Shareware–Vertrieb generell als Schmarotzen an fremder Leistung zu werten wäre; er liegt vielmehr im Interesse des Programmautors mindestens ebenso wie in der des Shareware–Händlers und ist vom Programmautor erlaubt und gewünscht. Besondere Probleme stellen im Rahmen des Shareware–Vertriebs der Übergang von einer älteren auf eine neuere Version oder gar, wie hier, der Übergang vom Shareware–Vertrieb der alten zum Exklusivvertrieb einer neueren Version dar. Daß dies auch in den beteiligten Verkehrskreisen als Problem empfunden wird, ergibt sich aus dem Kommentar des Chefredakteurs der Zeitschrift DOS shareware (Heft 6/92 S. 19):Es kann einfach nicht angehen, daß bei Händler A die Version 4.0 des Programms XYZ angeboten wird, während Händler B noch die Version 3,5 vertreibt. Hier sind die Händler und Autoren aufgerufen, sich an einen Tisch zu setzen und dieses Problem anzugehen...'.Dieses Problem kann aber nicht einfach so gelöst werden, daß mit dem Erscheinen einer neuen Version die der Allgemeinheit und insbesondere den Shareware–Händlern eingeräumte Vervielfältigungs– und Verbreitungsbefugnis bezüglich der Vorgängerversion schlagartig endet. Diese Lösung verbietet sich schon, weil es bei diesem Vertriebssystem vom Zufall abhängen kann, wann ein die bisherige Version vertreibender Händler von der Existenz einer neuen Version erfährt. Für die Umstellung auf die neue Version bedarf er in der Regel einer gewissen Umstellungsfrist. In verschärfter Form tritt das Problem auf, wenn die neue Version nicht mehr in den Shareware–Vertrieb gegeben wird, der Händler also nicht einfach von der älteren auf die neuere Version umstellen kann, sondern den – etwa, wie hier, durch Herausgabe eines eigenen deutschsprachigen Bedienerhandbuches unterstützten – Vertrieb der Shareware (ältere Version) aufgeben soll. Wenn schon in Fällen bisher rechtswidrigen Vertriebs Aufbrauchsfristen unter bestimmten Umständen dem Gebot von Treu und Glauben entsprechen, so erst recht in den hier erörterten Fällen, in denen der bisherige Vertrieb rechtens war und dem Willen des Programmautors entsprach.Für diese Probleme findet sich in der vorgelegten Literatur noch nicht einmal ein Lösungsvorschlag. Die Kammer kann somit nicht feststellen, daß es von den beteiligten Verkehrskreisen als Verstoß gegen die Regeln des Shareware–Vertriebs angesehen wird, wenn ein die ältere Version vertreibender Shareware–Händler diesen Vertrieb nicht unmittelbar bei Kenntniserlangung von der Existenz einer (hier sogar dem Shareware–Vertrieb entzogener) Nachfolgerversion einstellt. Zumindest ein Abverkauf seines Bestandes an Vervielfältigungsstücken muß ihm möglich sein, hier zumal deswegen, weil er für den Vertrieb dieser Version eine eigene Leistung erbracht, nämlich ein deutschsprachiges Handbuch zugegeben hat. Die Aufgabe des Vertriebs der älteren Version könnte dem Händler zuzumuten sein, wenn der Autor durch eine Kündigungsaktion – etwa Ankündigungen in allen maßgeblichen Presseorganen – unter Einhaltung einer angemessenen Kündigungsfrist das Erscheinen einer neuen Version so rechtzeitig angekündigt hätte, daß die Shareware–Händler hiervon Kenntnis nehmen und sich auf die Situation einstellen konnten. Derartiges liegt hier nicht vor; der bloße Wunsch des Autors, die alte Version möge so bald wie möglich sterben, genügt hierfür nicht.Sonach erweist sich der Vertrieb des (alten) PaintShop – dem Gesichtspunkt des § 1 UWG als (jedenfalls derzeit noch) nicht rechtswidrig. Der Shareware–Vertrieb dieses Programms entsprach dem Willen des Autors. Tritt eine Situation ein, aufgrund welcher der weitere Vertrieb in Shareware–Form dem Autor nicht mehr, wie bisher, erwünscht ist (weil er eine neue Version im Alleinvertrieb herausgebracht hat), so kann dadurch allein der bisher völlig legale, den guten Sitten entsprechende Vertrieb nicht schlagartig rechtswidrig und sittenwidrig werden. Wie ausgeführt, muß der Händler zumindest Kenntnis erlangen von dem geänderten Wunsch und Willen des Autors, und für die Umstellung muß ihm zumindest eine angemessene Frist zur Verfügung stehen. Hier kann noch nicht einmal festgestellt werden, daß der Autor irgendwelche Anstrengungen unternommen hätte, die interessierten Verkehrskreise davon zu informieren, daß die bisherige Version durch eine neuere ersetzt wurde und diese nicht mehr in Shareware–Form vertrieben werden soll. Die Bekl. kann dies aus den Handlungen und Äußerungen des Kl., der behauptet, der Alleinvertriebsberechtigte einer neuen Version zu sein, allenfalls schlußfolgern. Ob dies für die grundsätzlich zu fordernde Kündigung des Autors genügt, mag dahinstehen; jedenfalls wirkt die Kündigung nicht schlagartig, sondern nur mit angemessener Frist, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinesfalls abgelaufen wäre, da sie frühestens mit dem Zugang des Schreibens des Kl. vom 10. 4. 1992 zu laufen begonnen hätte.Daß der Autor die Bekl. nicht speziell und ausdrücklich zum Vertrieb von PaintShop ermächtigt hat, ist nach vorstehenden Ausführungen irrelevant; er hat durch die Bezeichnung seines Programms als Shareware–Programm jeden beliebigen Dritten ermächtigt, es zu vervielfältigen und zu verbreiten (unter den angegebenen Bedingungen).Auch die Berufung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Autors kann zu keinem anderen Ergebnis führen als dem, daß der Autor an einer Maßnahme, die er zur Förderung und Verbreitung seines ursprünglichen Programms getroffen hat, nach Treu und Glauben auch gebunden bleibt, soweit sich Dritte darauf einstellen durften, auch wenn er sein Programm und seine Vertriebspolitik ändert. Im übrigen ist der Kl. zur Geltendmachung der Rechte des Autors mit dem hier begehrten Ziel keineswegs ermächtigt, wie er behauptet; die Ermächtigung ist auf ganz andere Tatbestände abgestellt, die allesamt nicht zum Gegenstand des Antrags gemacht wurden – mit Recht, weil sich hierauf abgestellte Anträge ebensowenig hätten begründen lassen, wie der gestellte Antrag.