Zulässigkeit des Abhörens eines Dienstgesprächs durch den Arbeitgeber

Details zum Urteil

  • Bundesverfassungsgericht
  • Beschluß
  • vom 19.12.1991
  • Aktenzeichen 1 BvR 382/85
  • Sonstiges: abgedruckt in NJW 1992, 815
  • Abgelegt unter Arbeitsrecht
  • Kommentiert von

Der Tatbestand

Der Beschwerdeführer war als Chefredakteur beim Bekl. des Ausgangsverfahrens, dem Herausgeber einer Zeitschrift, beschäftigt. Über eine Aufschaltung konnte ein Vorstandsmitglied Telefongespräche, die der Beschwerdeführer von seinem Dienstapparat aus führte, unbemerkt mithören und tat dies auch in einem hier streitgegenständlichen Einzelfall. Da das Vorstandsmitglied einige Äußerungen des Beschwerdeführers als beleidigend empfand, wurde das Arbeitsverhältnis des Beschwerdeführers fristlos gekündigt. Die Kündigungsschutzklage des Beschwerdeführers wurde vom LAG abgewiesen. Das LAG argumentierte, der Arbeitgeber habe vom Inhalt des Telefongesprächs nicht auf unzulässige Weise Kenntnis erlangt. Das besagte Gespräch sei nicht vertraulich, sondern dienstlich gewesen und Dienstgespräche seien regelmäßig zur Kenntnis des Arbeitgebers bestimmt. Außerdem habe der Beschwerdeführer gewußt, daß eine Mithörmöglichkeit bestand. Durch das Mithören sei auch nicht das Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers verletzt worden. Der vom Zeugen (dem Gesprächspartner des Telefonats) bestätigte beleidigende Inhalt des Telefonats rechtfertige die fristlose Kündigung.

Die Entscheidungsgründe

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig (...) und offensichtlich begründet. Das angegriffene Urteil verletzt den Bf. in seinem Grundrecht aus Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG.

1. Dem Gebot der Rechtswegerschöpfung ist genügt. (...)

2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet.

a) Die gerichtliche Verwertung der Kenntnisse, die der Bekl. aus dem mitgehörten Telefongespräch gewonnen hat, verletzt das Recht des Bf. am eigenen Wort. Dieses Recht ist als Ausprägung des grundrechtlichen Persönlichkeitsschutzes anerkannt (vgl. BVerfGE 34, 238 (245 f.); BVerfGE 54, 148 (154)).

Das verfassungsrechtlich gewährleistete Persönlichkeitsrecht schützt das gesprochene Wort etwa gegen eine Verdinglichung durch heimliche Tonbandaufnahmen (vgl. BVerfGE 34, 238 (245)) und den Sprecher gegen die Unterschiebung von Äußerungen, die er nicht getan hat (vgl. BVerfGE 54, 208 (218)). Diese Schutzrichtungen sind nur beispielhaft, nicht abschließend gemeint. So hat das BVerfG unter Billigung der einschlägigen Rechtsprechung des BGH (vgl. BGHZ 27, 284 (286)) den Schutz des Grundrechts so definiert, es umfasse die Befugnis des Menschen, selbst zu bestimmen, ob seine Worte einzig seinem Gesprächspartner, einem bestimmten Kreis oder der Öffentlichkeit zugänglich sein sollen (vgl. BVerfGE 54, 148 (155)).

aa) Das LAG hat mit seinen die Entscheidung tragenden Erwägungen einen rein dienstlichen Charakter des Telefongesprächs angenommen und jede Vertraulichkeit im Hinblick auf den Arbeitgeber verneint. Ob ein Telefongespräch dienstlich oder privat erfolgt und sein Charakter öffentlich oder vertraulich ist, gehört zur Anwendung des einfachen Rechts und zur Tatsachenfeststellung im Einzelfall. Die Beantwortung der sich dabei ergebenden Fragen ist grundsätzlich allein Sache der dafür zuständigen Gerichte, die bei ihrer Entscheidung jedoch dem Einfluß der Grundrechte auf die angewandten Vorschriften des einfachen Rechts Rechnung zu tragen haben (vgl. BVerfGE 7, 198 (207); st. Rspr.). Das BVerfG hat daher die Auslegung des einfachen Rechts als solche nicht nachzuprüfen. Ihm obliegt es lediglich, die Beachtung der grundrechtlichen Normen und Maßstäbe durch die Fachgerichte sicherzustellen. Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das BVerfG zu korrigieren hat, ist erreicht, wenn eine Entscheidung Fehler erkennen läßt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 (92 f.) ; BVerfGE 42, 143 (149)). Das ist hier der Fall.

Das LAG hat Telefongespräche, die der Arbeitnehmer von einem Dienstapparat aus führt, von vornherein aus dem Schutz durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht herausgenommen.

bb) Darin liegt ein Verstoß gegen Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG.

Das LAG hat den Schutzbereich des Rechts am eigenen Wort als Folge seiner Erwägungen zum dienstlichen oder vertraulichen Charakter des Gesprächs zu eng gezogen. Es hat weder eine Einwilligung des Bf. noch ein Erkennen des konkreten Mithörvorganges angenommen. Die abweichende Behauptung des Bekl. in seiner Stellungnahme, der Bf. habe das Mithören durchaus bemerkt, steht im Widerspruch zu den Feststellungen auf S. 2 des Berufungsurteils und kann deshalb nicht berücksichtigt werden. Das Gericht hat den Schutz durch Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG schon deshalb verneint, weil der Bf. ein Gespräch mit dienstlichem Inhalt geführt und von der Mithörmöglichkeit gewußt habe.

Der grundrechtliche Schutz des gesprochenen Wortes kann aber nicht durch die bloße Kenntnis von einer Mithörmöglichkeit beseitigt werden. Dies ist keine Frage der Einschränkung des Grundrechtsschutzes, sondern eine solche nach der Zulässigkeit des Eingriffs in ein Grundrecht. Die Benutzung eines Diensttelefons allein rechtfertigt nicht den Schluß, damit sei dem Sprechenden eine Erweiterung des Adressatenkreises gerade um den Arbeitgeber oder dessen Vertreter gleichgültig. Eine solche Erwägung wäre nur dann verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn schon die äußerliche Kenntlichmachung als Dienstgespräch jede Vertraulichkeit der Äußerung im Hinblick auf den Arbeitgeber ausschlösse.

So liegt es aber nicht. Bei telefonischen Dienstgesprächen mag es dem Arbeitnehmer oft gleichgültig sein, ob die Äußerungen seines Gesprächspartners von dort anwesenden Personen mitgehört werden können. Anders liegt es schon bezüglich der Frage, ob der Arbeitnehmer regelmäßig allein aufgrund der Führung eines Dienstgesprächs damit einverstanden ist, daß seine Worte vom Gesprächspartner über eine Mithöreinrichtung Dritten zur Kenntnis gebracht werden. Nochmals anders liegt es, wenn - wie hier - ein Dritter von keinem der beiden Gesprächspartner zum Mithören ermächtigt worden ist. Das Recht am eigenen Wort schützt die Befugnis des Sprechenden, den Kreis der Adressaten seiner Worte selbst zu bestimmen. Der dienstliche oder ein geschäftlicher Charakter des Telefongesprächs beseitigt diese Bestimmungsbefugnis nicht ohne weiteres.

Das Ausgangsverfahren zeigt gerade, daß ein dienstliches Telefongespräch mit Mitteilungen verbunden werden kann, die schon von ihrem Inhalt her zwangsläufig gegenüber dem Arbeitgeber vertraulich behandelt werden sollen. Ob dies im Einzelfall so ist, kann im Vorfeld eines solchen dienstlichen Gesprächs nicht beurteilt werden. Dies hängt von dessen Inhalt und Verlauf ab. Die möglichen verschiedenen Inhalte und Vertraulichkeitsgrade dienstlicher Äußerungen verbieten es deshalb, jeden Schutz des dienstlichen vom Arbeitnehmer gesprochenen Wortes gegenüber dem Arbeitgeber abzulehnen.

cc) Indem es eine solche Sperre errichtet, verletzt das angegriffene Urteil das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Bf. Auf diesem Verstoß beruht die Entscheidung. Ohne das Mithören hätte der Arbeitgeber weder vom Inhalt des Gesprächs noch von der Person des Gesprächspartners erfahren. In der gerichtlichen Verwertung von Kenntnissen und Beweismitteln, die unter Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht erlangt sind, liegt regelmäßig ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG. Ob dieser gerechtfertigt ist, richtet sich nach dem Ergebnis der Abwägung zwischen dem gegen die Verwertung streitenden Persönlichkeitsrecht und einem dafür sprechenden Interesse des Beweisführers. Eine solche Abwägung fehlt im angegriffenen Urteil, weil das LAG dem Bf. von vornherein den Schutz des Grundrechts versagt hat. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das Gericht bei einer Öffnung des grundrechtlichen Schutzbereichs zu einem für den Bf. günstigen Abwägungsergebnis kommt. Der Arbeitgeber hat die streitige Tatsache erst durch das abgehörte Telefongespräch erfahren.

b) (...)

Kommentar von

Die aktuelle Diskussion um die Zulässigkeit der Überwachung von e-mail des Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber, die u.a. durch einen Beitrag in der Zeitschrift Konrad ausgelöst wurde, hat uns dazu bewogen, diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit des Abhörens von Dienstgesprächen durch den Arbeitgeber, ins Netz zu stellen. Der Beschluß des BVerfG ist unseres Erachtens auch auf die Überwachung von e-mail übertragbar.

Der Beschluß des BVerfG macht deutlich, daß der Inhalt von Telefongesprächen des Arbeitnehmers, durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt ist, gleichgültig, ob es sich um ein dienstliches oder um ein privates Telefonat handelt. Das Abhören durch den Arbeitgeber stellt deshalb einen Grundrechtseingriff dar, sofern man von einer unmittelbaren Geltung der Grundrechte im Arbeitsrecht ausgeht. Nimmt man lediglich eine Drittwirkung der Grundrechte an, bleibt das Ergebnis das gleiche, da das allg. Persönlichkeitsrecht auch im Zivilrecht Geltung beansprucht. Das BVerfG hatte diese Frage i.ü. nicht zu erörtern, da es den Grundrechtsverstoß auf das Urteil des Landesarbeitsgericht bezog.

Da das (flüchtig) geschriebene Wort nicht anders als das gesprochene behandelt werden kann, läßt sich diese Entscheidung ohne weiteres auch auf die Frage der E-Mail-Überwachung übertragen.

Auch wenn eine Grundrechtsabwägung zu dem Ergebnis führen kann, daß eine Überwachung in bestimmten Einzelfällen statthaft ist, so dürfte dies für eine flächendeckende Überwachung mittels Software jedenfalls nicht gelten. Sobald undifferenziert alles überwacht wird, findet keine einzelfallbezogene Überwachungsentscheidung mehr statt, weshalb die Überwachung mittels Software per se als unzulässig angesehen werden muß.