Strafbarkeit von Hyperlinks: OLG Stuttgart bestätigt Freispruch

Prozessbericht von RA Stadler

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart verworfen, durch das der Netzaktivist Alvar Freude u.a. vom Vorwurf der Volksverhetzung, der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und der Zugänglichmachung von Gewaltdarstellungen im Internet freigesprochen worden war.

Der Angeklagte wurde in erster Instanz vom Amtsgericht Stuttgart zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt. Die Tathandlung sah das Amtsgerichts im Setzen von Hyperlinks auf die rechtsradikalen Websites "stormfront.org" und "nazi-lauck-nsdapao.com" und die Site "rotten.com".

Das Landgericht Stuttgart hob die Entscheidung des Amtsgerichts auf und sprach den Angeklagten frei.

Die Revision der Staatsanwaltschaft Stuttgart blieb erfolglos.

In der mündlichen Urteilsbegründung wies der Vorsitzende des 1. Strafsenats des OLG Stuttgart darauf hin, dass das gezielte Setzten von Links auf strafbare Fremdinhalte nach Ansicht des Gerichts grundsätzlich strafbar sei und es nur aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls straflos bleibt, weil sich der Angeklagte auf die sog. Sozialadäquanzklausel der §§ 86 Abs. 3, 86a Abs. 3, 130 Abs. 6 StGB berufen kann.

Der Senat bezeichnete die unter "odem.org" abrufbaren Inhalte als eine starke und umfangreiche Dokumentation zu den Sperrungsverfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf, die der staatsbürgerlichen Aufklärung und der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens dient.

In einem solchen Kontext ist es nach Ansicht des OLG Stuttgart auch zulässig, Hyperlinks auf diejenigen Seiten zu setzen, die Gegenstand der Sperrungsbemühungen bzw. Sperrungsverfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf sind.

Der Senat machte deutlich, dass die Dokumentation des Angeklagten objektiv nicht geeignet ist als Unterstützung von rechtsradikalem Gedankengut betrachtet zu werden und dies auch subjektiv nach der Tatsachenfeststellung des Landgericht nicht der Intension des Angeklagten entspricht.

Im Hinblick auf den zweiten Anklagepunkt, das satirische Projekt "Teletrust" (nunmehr "freedomfone") nahm das Oberlandesgericht ähnliche Zweckei.S.v. § 86 Abs. 3 StGB an und bejahte eine Privilegierung ebenfalls.

Der Strafsenat wies auch ganz ausdrücklich auf die Bedeutung von Art. 5 GGfür die Beurteilung des konkreten Sachverhalts hin.

Der Senat wandte sich schließlich ergänzend auch noch dem von der Staatsanwaltschaft in der Revision erstmals thematisierten Aspekt des Jugendschutzes zu. Die im Tatzeitpunkt noch geltende Bestimmung des § 21 GjS (Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte) bzw. die neue Vorschrift des § 23 JMStV sind nach Meinung des Strafsenats schon deshalb nicht einschlägig, weil nicht ersichtlich sei, dass der Angeklagte Inhalte zugänglich gemacht habe, die offensichtlich geeignet sind, eine schwere Gefährdung der Entwicklung von Jugendlichen zu bewirken.

Was den weiteren Tatvorwurf der Gewaltdarstellung (§ 131 StGB) angeht, der sich vor allem auf die Verlinkung von "rotten.com" stützte, verneinte der Senat ebenso wie das Landgericht bereits den objektiven Tatbestand der Strafvorschrift. Das Landgericht hatte hierzu u.a. ausgeführt, dass die bloße Darstellungen von verletzten oder getöteten Menschen alleine nicht ausreichend ist, um den Tatbestand der Vorschrift zu erfüllen.

Dem weiteren Einwand der Verteidigung, dass im konkreten Fall bereits keine geeignete Tathandlung des Zugänglichmachens volksverhetzender Inhalte i.S.v. § 130 Abs. 2 StGB durch Hyperlinks gegeben war, wollte der Senat allerdings ganz ausdrücklich nicht folgen.

Die Verteidigung hatte u.a. damit argumentiert, dass solche Hyperlinks, die erkennbar lediglich referenzierenden Charakter haben, nicht als Zugänglichmachung im strafrechtlichen Sinne betrachtet werden könnten, weil man ansonsten nicht mehr erklären kann, weshalb nicht auch beispielsweise die Treffergebnisse in Suchmaschinen als strafbares Zugänglichmachen zu werten sind.

Speziell das Suchmaschinenargument versuchte der Vorsitzende mit dem Hinweis zu kontern, für Suchmaschinen würde eine Haftungsprivilegierung nach dem TDG eingreifen. Da dies nach fast einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Literatur aber nicht der Fall ist, darf man insoweit auf die schriftliche Urteilsbegründung gespannt sein.

Wenn sich der Senat, wie die mündliche Urteilsbegründung vermuten lässt, intensiver mit der allgemeinen Frage der Zugänglichmachung von strafbaren Inhalten mittels Hyperlinks auseinandersetzen wird, dürfte das schriftliche Urteil auch für die Rechtswissenschaft von großem Interesse sein und einen Anknüpfungspunkt für weitere (kontroverse) Diskussionen bilden.

Am Rande der Verhandlung war außerdem zu hören, dass es in Stuttgart derzeit Strafverfahren wegen der Verwendung durchgestrichener Hakenkreuze durch Nazigegner wegen Verstoß gegen §§ 86, 86a StGB gibt und sich die Generalstaatsanwaltschaft vom schriftlichen Urteil auch diesbezüglich aufschlussreiche Hinweise erhofft, insbesondere was die Anwendung der Sozialadäquanzklausel betrifft.

Thomas Stadler, 25.04.2006